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Predigt – EG 432: Gott gab uns Atem

Pfr. Tobias Völger – gehalten am 27.09.2015 anlässlich des Festgottesdienstes 30 Jahre Meenzer Paulusbleeser

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Regelmäßiges Atmen soll lebensverlängernd sein – habe ich mal gehört. Und ich kann bestätigen, bis heute hat’s geholfen.

Gott gab uns Atem, damit wir leben…

Atmen – eine der grundlegendsten Funktionen unseres Körpers, die normalerweise ganz automatisch funktioniert. Wenn alles gut läuft, merke ich es häufig gar nicht, dass ich atme. Doch wehe, wenn es mir den Atem verschlägt, wenn ich kaum noch Luft bekomme und das Atmen schwer fällt. Wenn mir die Puste ausgeht, dann merke ich schnell, wie wichtig das Atmen ist.

Doch die Atemluft versorgt mich nicht nur mit Sauerstoff zum Leben. Wenn Luft aus dem Körper ausströmt, kann ich Töne erzeugen – beim Sprechen, beim Singen, beim Pfeifen.

Im Psalm 8 heißt es gar: Aus dem Munde der kleinen Säuglinge hast du dir eine Macht bereitet. – Was aus einem so kleinen Wesen mit ein wenig Luft doch für laute Töne rauskommen können, ist immer wieder verwunderlich.

Als Posaunenchorbläser weiß ich: nicht nur mich kann die Luft zum Klingen bringen, auch mein Instrument – das Mundstück und alles, was an Blech noch so vorne dran hängt, dienen nur der Verstärkung. Wenn ich aus meinem Körper nicht genügen von dieser göttlichen Luft hineingebe, bringt auch das Beste Mundstück nichts. Meine Trompete und alle anderen Instrumente hier können nur mit richtig viel Luft laut und schön klingen.

Bei den Meenzer Paulusbläsern tun sie das schon seit 30 Jahren und manches Mal sicher auch mehr laut als schön – aber daran sind die Mombacher schuld: „Hauptsache laut“, lautet die Parole, die dort nach dem Spielen im Altenheim von einer der älteren Damen ausgegeben wurde.

Angefangen hat alles ganz zufällig. Ein paar Chorsänger, die endlich mal schöne und laute Musik machen wollten und eine alte Alexandertrompete; ein bisschen Lippenspannung und wie beim Singen viel Luft – viel mehr brauchte es damals nicht und eine Idee war geboren. Ein Chorleiter dazu, ein paar Instrumente – und 30 Jahre später feiern wir ein Jubiläum.

Luft – Atem – gehört zu so vielen Dingen und allen Lebenswesen ganz selbstverständlich dazu. Doch unserem Atem kommt hierbei eine ganz besondere Stellung zu. Nur dem Menschen hat Gott seinen Lebensatem eingehaucht, wie es im 1. Buch Mose heißt:

Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen, zu einer lebendigen Seele.

Erst der Lebensatem Gottes macht uns zu einer lebendigen Seele. Ohne ihn wären wir nur ein Klumpen Erde. Erst der Lebensatem Gottes macht uns zu Menschen, macht uns wenig niedriger als Gott.

Der Liederdichter Eckart Bücken greift dieses Motiv in seinem Lied auf:

Gott gab uns Atem – damit wir leben.

Das Lied ist 1982 im Vorfeld des Kirchentages in Hamburg entstanden. Die Lieder von Eckart Bücken atmen den Geist der Kirchentagsspiritualität, die damals ganz bewusst auf kirchlich geprägte Sprache verzichtete und darauf zielte, Gottesdienst und Liturgie lebendiger zu machen. Statt großer theologischer Themen finden die Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in den Vordergrund.

Die Lieder, die in dieser Zeit entstanden sind, sind ganz bewusst Gebrauchstexte. Man merkt ihnen an, dass es eben grade kein Paul-Gerhardt-Text sein will, sondern ein Gebrauchstext, an den man keine großen literarischen Ansprüche stellen darf. Und doch ist gerade dieses Lied nicht ohne Qualität. Der Text schafft es nämlich, das darzustellen, wovon er spricht: Die Zeilen atmen, sie machen lange Schritte, die angenehm zu singen und zu spielen sind. Nur die Triole am Ende der zweiten Zeile klingt wie ein kurzer Stoßseufzer.

Der größte Schritt geschieht vom Anfang bis zum Ende, vom beatmeten Leben zu neuen Leben am Ende der Zeit.

Jede der Strophen nennt in den ersten beiden Zeilen die Gaben, mit denen Gott uns ausgestattet: Atem, Augen, Ohren, Worte, Hände, Füße.

Nicht nur mein Atem, sondern mein ganzer Körper ist Gottes Schöpfung. Er hat mich mit allen ausgestattet, was ich zum Leben brauche. Alles hat einen Sinn und ich soll diese Gaben sinnvoll einsetzen, damit ich seinen Auftrag erfüllen kann.

Den Auftrag, über Gottes Schöpfung zu herrschen, nicht sie auszubeuten zur Befriedigung allein meiner Bedürfnisse, sondern so, dass Gottes Wille darin erkennbar bleibt.

Die Erde ist uns anvertraut, dass wir auf ihr die Zeit besteh’n, nicht mit ihr untergeh‘n.

Die Zeit zu bestehen meint sicher nicht, dass ich meine Zeit einfach absitzen soll. Es kann nicht darum gehen, meine Lebenszeit hier auf der Erde einfach nur zu überstehen, wie den Blockflötenunterricht in der Schule; sondern dass ich meine Lebenszeit mit gutem Sinn fülle, zum Beispiel so (auf Posaunenchor deuten…).

Gott loben, das ist unser Amt! Das Motto der Posaunenchöre sollte auch das Motto außerhalb meiner Übungsstunden und Einsätze sein, es soll auch in mein Leben ausstrahlen: Ich lasse mich als Mitarbeiter Gottes in seinen Dienst nehmen, um die Erde so zu verwandeln, dass sich auf ihr der Weg zu einem neuen Leben öffnet. Dazu dienen die Gabe des Atems, der Augen, der Ohren, der Hände und der Füße.

Wir haben Augen, dass wir uns sehn.

Augen, dass ich unterscheiden kann, zwischen den Noten, die sich bewegen und denen, die sich nicht bewegen. Erstere können wir getrost auslassen.

Augen, dass wir uns sehen… der vielleicht größte Wunsch eines Dirigenten. Wer von uns kennt nicht die flehende Stimme von vorne: „Schaut doch ein bisschen mehr zu mir.“ Und die Standardantwort lautet dann meistens: „Ich kann auf die Noten gucken und sehe den Dirigenten trotzdem!“

Genau so viel Umsicht wie in der Probe soll ich auch außerhalb, im täglichen Miteinander, walten lassen. Gott hat mir Augen gegeben, damit ich nicht blind an anderen vorbeirenne oder die Augen vor den Problemen anderer verschließe. Sondern wo ich Noten und Dirigenten wahrnehmen kann, kann ich auch auf mich und mein Leben achten und trotzdem auch auf die anderen um mich herum: Wie geht es dem Anderen? Wo hat er Probleme und könnte meine Hilfe gebrauchen? Wie kann ich einem Flüchtling helfen, sich hier einzuleben?

In allen Posaunenchören, in denen ich mitgespielt habe, funktioniert das. Ich erlebe Posaunenchöre häufig als kleine Insel, in denen dieses christliche Ideal der Achtsamkeit gelebt wird und häufig auch darüber hinaus ausstrahlt. Da wird auf andere geachtet, ihre Nöte und ihre Freude gesehen; ihre fröhlichen und ihre traurigen Lebensmelodien gehört.

Gott gab uns Ohren, damit wir hören.

Das ist das Schöne, manchmal auch das Spannende, an unseren Instrumenten. Bei so einer Orgel drücke ich eine Taste und dann klingt ein Ton – immer der gleiche. Weiße Tasten, schwarze Tasten – unveränderlich klingen immer die gleichen Töne; die schwarzen Tasten für die traurige Musik, die weißen für die fröhliche … oder so.

Bei uns ist das anders. Ich muss auf den Anderen hören; muss meinen Ton mit dem Ton des anderen neben mir abstimmen und austarieren – ein klein wenig höher; ein klein wenig niedriger; eine Moll-Terz klingt anders als der gleiche Ton in der Dur-Terz. Ich muss nach rechts und links hören: bin ich zu hoch; zu niedrig; passt es….

Wie im wahren Leben. Da muss ich mich immer wieder nachjustieren. Passe ich und mein Tun zu meinem Auftrag, Gott zu loben?

Ich muss immer wieder hören, auf Gott und seine Worte. Im Gebet nicht nur zu Gott reden, sondern auch auf seine Antwort hören, nachspüren, welche guten Worte er für mich und mein Leben hat. Darauf hören, wo er mich haben will, wo er mich entlasten will, dass ich die Zeit auf seiner guten Erde bestehen kann.

Hören, dass er die Erde trotz allem gut und sehr schön geschaffen hat, zu hören, das darfst du auch genießen.

Gleichzeitig haben wir Füße – nicht, um vor der Arbeit wegzulaufen, sondern dass ich fest stehen kann und ich brauche meinen Fuß, um den Takt aufzunehmen. Den Takt beim Spielen, aber auch den Impuls, den der große Taktgeber meines Lebens mir vorgibt, damit ich ihn mit meiner Lebensmelodie loben kann.

Aber ich muss mit meinen Füßen auch fest stehen können. Ich muss zu dem stehen können, was ich mache. Der Auftrag, als Mitarbeiter Gottes an seiner Erde mitzuarbeiten, kann manchmal anstößig sein.

Sich nicht nur mit denen abzugeben, die gesellschaftlich anerkannt sind, sondern auch zu denen zu gehen, die am Rand stehen; die zu hören, denen niemand mehr zuhört; denen die Hand zu reichen, mit denen niemand mehr etwas zu tun haben möchte, braucht Mut und Überzeugung und einen festen Standpunkt im eigenen Glauben. Auch mal unpopuläre Entscheidungen treffen und wählen, das braucht einen guten Stand. Nur wenn ich mein Fähnchen nicht ständig nach dem Wind drehe, kann ich als Mitarbeiter Gottes an seinem großen Ziel mitarbeiten; kann ich sein Loblied singen.

Durch Handeln und fest stehen wird Gott die Erde verwandeln – durch mich; durch uns alle, aber auch mit uns. Mit manchen lauten Tönen, aber auch mit vielen leisen Tönen. Gott hat uns dazu ausgestattet, dass wir an seinem großen Werk mitarbeiten können, aber er lässt uns dabei nicht allein. Wie sich durch uns mit seiner Hilfe die Erde Stück für Stück verwandelt, verwandelt er auch uns.

Am Ende können wir neu ins Leben gehen. Gott schenkt uns nicht nur immer wieder neu die Möglichkeit, unsere Gaben und Fähigkeiten, die er uns geschenkt hat, einzusetzen. Er legt uns nicht auf verpasste Chancen und falsche Töne fest, sondern lässt uns immer wieder aufs Neue ins Leben gehen.

Die letzte Strophe des Liedes weist zugleich über unser Leben hinaus. In Christus hat Gott schon mit der Verwandlung dieser Erde begonnen, bevor er am, Ende der Zeit die Verwandlung vollenden wird, an uns und mit uns. Auch in einer neuen, verwandelten Schöpfung hat er einen Platz für uns. Dort wird er uns verwandeln und zu neuem Leben erwecken.

Mit den Fähigkeiten, mit denen er uns ausgestattet hat, kann schon heute und hier ein Stück dieser neuen Welt Wirklichkeit werden, ein Stück des neuen Himmels auf der alten Erde möglich sein. Die Musik ist vielleicht der schönste Schlüssel dazu. Dass das auch bei den Meenzer Paulusbleesern, aber auch in unserem eigenen Leben, noch lange so sein möge, dazu stärke uns Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.